Seit Wochen schwanken meine Gefühle im Minutentakt hin und her zwischen Hochgefühl und Vorfreude auf der einen Seite und Traurigkeit und Mitgefühl auf der anderen Seite. Heute vermischen sich beide Gefühle zu einem und lassen keinen Gedanken an die Diplomarbeit zu, an der ich eigentlich arbeiten sollte. Aber indem ich hier schreibe, fließt das Thema doch mit ein.
Kann man glücklich-erfüllt und traurig gleichzeitig sein? Man kann. Ich vermute, es liegt nicht nur daran, dass ich ein Freund von Paradoxien geworden bin.
Gestern war ich mit einem engen Freund in der „Zauberflöte“ im Prinzregententheater. Ich war zum ersten Mal in diesem schönen Theater und durfte eine tolle Inszenierung mit schönen Kostümen auf dem allerbesten Sitzplatz bewundern. Und das mit Karten, die ich geschenkt bekam. Obendrauf – und der eigentliche Grund, warum ich unbedingt hin wollte – sang Tareq Nazmi den Sarastro. Er ist mit einer Stimme gesegnet, die mich fasziniert und die eine einzigartige Wirkung auf mich hat: sie verleiht mir einen großen inneren Frieden. „Nebenbei“ ist er, wie ich es gestern erfahren durfte, als ich mir am Bühneneingang ein Autogramm von ihm geben ließ, ein sehr sympathischer Mensch. Ich freue mich jetzt schon, dass er an Heilig Abend wieder bei uns und mit uns in unserer Kirche singen wird.
Nun habe ich gerade erfahren, dass die Mutter meines Freundes heute gestorben ist. Es kam nicht überraschend und doch ist es ein schmerzlicher Moment, trotz allem Vorbereiten und liebevollem Abschiednehmen. Er muss von einem geliebten Menschen Abschied nehmen und das tut auch mir weh. Zu helfen ist schwer. Dasein, Zuhören oder gemeinsam schweigen ist das, was man als Außenstehender tun kann. Das Gefühl, dass es nicht genug ist, bleibt.
Es fällt schwer, in solchen Momenten nicht zu sagen „so ist das Leben halt“. Aber so ist das Leben. Licht und Finsternis wechseln sich ab, Freude und Leid reichen einander die Hand. Die Kunst des Lebens besteht darin, beides ins Leben zu integrieren, einen Sinn darin zu erkennen, in dem, was geschieht. Es mag als Plattitüde klingen, aber ich sehe in solchen Momenten den Sinn darin, dankbar zu sein für das, was man hat, was einem Gutes widerfährt. Ein schöner Herbsttag, liebe Freunde, eine Familie, auf die man zählen kann. Dankbarkeit für die Gaben, die uns geschenkt sind. In meinem Fall bin ich gerade dankbar, dass es mir vegönnt ist, mich ein halbes Jahr mit einem Thema, das mir sehr am Herzen liegt, intensiv zu beschäftigen. Ein großes Privileg! Ich bin auch dankbar für die Musik und für die Menschen, die viel Zeit, Energie und Herzblut in sie investieren. Angefangen bei unserem engagierten Chorleiter bis zu den Sängern und Musikern gestern.
Hier schließt sich der Kreis. Die Mutter meines Freundes war selbst Musikerin und ihr hätte die „Zauberflöte“ bestimmt gefallen. Wir werden beide diese Oper in Zukunft mit anderen Augen sehen und anderen Ohren hören, aber im Moment kann ich mir kein besseres Andenken an sie vorstellen. Zwei Ereignisse, die gefühlsmäßig kaum weiter auseinander liegen könnten und zeitlich nur wenige Stunden voneinander getrennt sind, werden eine Einheit.