Die Beginen

Auszug aus meiner Diplomarbeit über Mechthild von Magdeburg und ihr Buch „Das fließende Licht der Gottheit“

Eine wichtige Gruppierung in der Armutsbewegung ab dem 11. Jahrhundert sind die Beginen, die um die Jahrhundertwende des 12./13. Jahrhundert entstanden und eine gemeinschaftliche Lebensform in Armut und Keuschheit wählten ohne einem Orden anzugehören. In der Forschung existieren vielfältige Theorien über die Motivation hinter dieser Bewegung, die die Beginen jedoch häufig ideologisch vereinnahmen (wie etwa der Marxismus oder der Feminismus) oder den Blick auf sie zeitgeschichtlich überformen. Bei (kirchen-) geschichtlichen Untersuchungen zu den Beginen treten zahlreiche Schwierigkeiten auf, die eine Einordnung der Beginen in Kirche und Gesellschaft erschweren. Zunächst herrscht Unklarheit über die Entstehung. Verschiedene Gründerthesen und -legenden erwiesen sich als nicht haltbar, ebenso erscheinen Theorien über ein plötzliches Auftauchen oder gar eine Einordnung als frühe Emanzipationsbewegung als fragwürdig. Des weiteren ist die Bezeichnung für die Gemeinschaften in den Quellen sehr uneinheitlich, gerade in den Anfängen ist meist nur von „religiösen Frauen“ die Rede. Auch der Ursprung des Begriffes „Begine“ gab Anlass zu zahlreichen Theorien, die letztlich ergeben, dass diese Frage wohl nicht befriedigend und definitiv geklärt werden kann. Unter Berücksichtigung dieser Unsicherheiten und der Tatsache, dass es sich um eine heterogene Bewegung handelte, die regionale Ausprägungen hatte, zeigen sich doch einheitliche Charakterzüge des Beginenwesens und ihre Bedeutung für Kirche und Gesellschaft des 13. Jahrhunderts.

Der Beginenhof in Brügge, einer der größten und mit dem Status einer Pfarrei.

Die Entstehungszeit lässt sich nur sehr vage angeben. Beim Zweiten Laterankonzil 1139 werden Frauen erwähnt, „die zwar nicht nach der Regel des seligen Benedikt, Basilius oder des Augustinus leben, jedoch allgemein als Nonnen anerkannt werden möchten“. Trotz der Ähnlichkeit der Lebensform lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, ob damit schon Beginen gemeint sind, denn weitere Ausführungen oder Beschreibungen dazu fehlen. Die ersten Informationen aus der Hand eines Augenzeugen liefert Jakob von Vitry (gest. 1240), der ein Fürsprecher und Unterstützer der neuartigen Bewegung war. Anlässlich seiner Weihe zum Bischof von Lüttich durch Papst Honorius III. im Jahr 1216 erwirkte er bei diesem das Privileg „für die frommen Frauen im Bistum Lüttich und in ganz Frankreich, in Gemeinschaftshäusern zu wohnen und sich einander durch gegenseitige Ermahnungen im rechten Tun zu bestärken“. Leider wurde diese Erlaubnis nur mündlich erteilt, der einzige Nachweis ist Jakobs Brief an seine Freunde vom Oktober 1216. Sie zeigt aber, dass es von Seiten des Papstes zu der Zeit keine wesentlichen Bedenken gegen diese Lebensform gab und die Beginen auch nicht unter das Verbot von Ordensneugründungen von 1215 fielen. Einen weiteren sicheren Hinweis auf die Entstehung des Beginenwesens am Anfang des 13. Jahrhundert liefert die Stiftung eines Grundstücks an die Beginen in Tirlemont im Herzogtum Brabant 1202. Das Herzogtum und die Grafschaft Flandern scheinen der Ausgangspunkt der Bewegung gewesen zu sein, die sich rasch verbreitete. Für das Deutsche Reich ist eine gleichmäßige Ausbreitung von Beginenkonventen zu verzeichnen, die zwischen 1250 und 1350 ihre Blütezeit hatten. Trotz der anfänglichen Unterstützung und ihrer Nähe zu den anerkannten Bettelorden schwankte die weitere Geschichte der Beginen – je nach Region oder Stadt und je nach dem Wohlwollen des jeweiligen Bischofs, Stadtherrn oder anderer Fürsprecher und Gegner – zwischen Anerkennung und Ablehnung bis hin zum Häresie-Verdacht. Prominentestes Opfer der Inquisition ist die französische Begine Marguerite Porète, die 1310 hingerichtet wurde, allerdings nicht wegen ihres Beginenstatus, sondern aufgrund ihrer Schrift Der Spiegel der einfachen Seelen. Doch ihre Verurteilung strahlte auch auf die Beginen insgesamt aus, die pauschal in Häresie-Verdacht gerieten. Dies führte in der Folgezeit zur Auflösung vieler Beginenkonvente, die sich meist den regulierten Orden oder Drittorden anschlossen. Im Gefolge der Reformation verschwanden sie – von einzelnen Ausnahmen abgesehen – aus dem Bild der Geschichte.

Maria mit dem Kinde im Beginenhof in Brügge.

Das Anstoß Erregende am Beginentum war deren Lebensweise, die nicht in den Ordo der Kirche zu passen schien, „[d]enn sie versprechen niemandem Gehorsam, entsagen nicht des Besitzes und bekennen sich zu keiner approbierten Regel. Gleichwohl tragen sie den sogenannten Beginenhabit und hangen irgendwelchen Religiosen an, zu denen sie sich innerlich hingezogen fühlen.“ Sie gehörten keinem Orden an – die geistliche Betreuung übernahmen in der Regel die Franziskaner und Dominikaner – und lebten doch ordensähnlich in Armut und Keuschheit, in Gemeinschaften unterschiedlicher Größe mit je eigenen Hausregeln. Es gab einzeln lebende religiöse Frauen, sowie Frauen, die in Privathäusern mit einer festen Organisation als Gemeinschaft in der Gesellschaft lebten, schließlich „klausurierte“ Beginen, die abgesondert von der Welt in größeren Beginenhöfen – vor allem in Flandern und Brabant – wohnten, die mitunter auch den Status einer Pfarrei erlangen konnten. Die Konvente hatten keine übergeordnete Einheit, die eine Regulierung oder Aufsicht übernommen hätte oder als „Interessenvertretung“ hätte fungieren können. So gaben sich die Konvente eigene Hausstatuten, die zwar die Interessen des oder der jeweiligen Gründer(in) widerspiegeln, aber doch einen gemeinsamen Kern hatten: Die Nachfolge Christi im Dienst an den Armen, Bedürftigen, Kranken und Sterbenden und durch ein Leben in Keuschheit und Armut, sowie durch Übungen wie Gebet, Fasten oder Almosengeben. Darin waren die Beginen freier und flexibler als die klausurierten Nonnen in einem Kloster und lebten daher ihr religiöses Leben in der Gesellschaft. Bemerkenswert ist, dass der Großteil der Beginen aus begütertem oder adligem Hause kam und wohl bewusst auf den Reichtum und das Ansehen verzichtete, die „als unvereinbar mit dem Geist des Evangeliums und dem Willen Gottes“ betrachtet wurden. Das Vermögen, das diese Frauen in die Gemeinschaft einbrachten, bildete eine Säule des wirtschaftlichen Unterhalts des Konventes, neben den meist handwerklichen und pflegerischen Tätigkeiten der Beginen und den Stiftungen und Zuwendungen der Gönner(innen).

Die Beginen lebten also eine Form religiöser Überzeugung, die auf der einen Seite den anerkannten Bettelorden und der Büßerbewegung sehr nahe stand und für die sozialen und wirtschaftlichen Belange einer Stadt von Wichtigkeit waren, aber auf der anderen Seite doch nicht in das Gefüge der kirchlichen und gesellschaftlichen Ordnung des 13. Jahrhunderts passte. Die Frauen brachen bewusst aus diesen Ordnungen aus, was entweder Bewunderung oder Ablehnung hervorrief. Ins Fadenkreuz der kirchlichen Obrigkeit gerieten auch die Beginen, die sich anmaßten, in ihrer Volkssprache über Glaubensfragen zu schreiben, wie Mechthild das tat, oder die in volkssprachlichen Bibeln lasen. Stellte diese Anmaßung doch einen mehrfachen Frevel dar: Ein Laie, noch dazu eine Frau, offenbart Gottes Wort in der profanen Sprache, ohne in die kirchliche Ordnung eingebunden zu sein. Man mag es – aus der Sicht einer emanzipierten Frau des 21. Jahrhunderts – als späte Genugtuung sehen, dass gerade diese volkssprachlichen Texte die jeweiligen Sprachen entscheidend mitgeprägt haben.

Beginen gibt es auch heute noch bzw. wieder: https://www.dachverband-der-beginen.de/startseite

Literatur:

Reichstein, Frank-Michael, Das Beginenwesen in Deutschland. Studien und Katalog,
Berlin 2001.

Grundmann, Herbert, Religiöse Bewegungen im Mittelalter. Untersuchungen über die geschichtlichen Zusammenhänge zwischen Ketzerei, den Bettelorden und der religiösen Frauenbewegung im 12. und 13. Jahrhundert und über die geschichtlichen Grundlagen der Deutschen Mystik (Historische Studien, Heft 267), Berlin 1935.

Unger, Helga, Die Beginen. Eine Geschichte von Aufbruch und Unterdrückung der Frauen (Herder-Spektrum 5643), Freiburg 2005.


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