Unsere Welt scheint aus den Fugen zu geraten: Es ist Krieg in Europa, im Iran eskalieren die Proteste gegen das Regime, es gibt Hungersnöte in vielen Ländern Afrikas, politische Kräfte agitieren, die die Gesellschaften spalten und destabilisieren, der Klimawandel, durch den unsere Lebensgrundlage zerstört wird, ist kaum aufzuhalten und so viel mehr. Mir macht das Angst, auch deswegen, weil ich mir ziemlich hilf- und machtlos vorkomme und ich mich allem ausgeliefert fühle. Das was ich tue, scheint mir nur ein winziger Tropfen im großen Meer zu sein, der nichts bewirkt.
Seit Anfang März halten wir jeden Sonntag ein Friedensgebet, etwa 20 bis 30 Menschen nehmen daran teil, viele von ihnen sind treue Stammgäste. Wir beten um Frieden in der Ukraine und in der Welt. Wir glauben fest daran, dass unser Gebet etwas bewirken kann, wir sind schließlich nicht die einzigen. In Erfurt gibt es seit über 30 Jahren ein Friedensgebet, das mit den Demonstrationen in der DDR 1989 begonnen wurde! Es mag für den Einzelnen nicht viel sein, aber zusammen entsteht aus dem Gebet viel Kraft.
Zudem gehe ich seit Beginn des Krieges in der Ukraine immer wieder demonstrieren, etwas, das ich in meinem bisherigen Leben nur einmal getan habe. Es fiel mir bisher immer schwer, mich politischen Demonstrationen anzuschließen, warum genau, kann ich nicht richtig sagen. Aber das hat sich mit dem Einmarsch Russlands in der Ukraine geändert. Er hat mich politisiert wie nichts zuvor. Es ist mir wichtig, das bisschen, was ich tun kann für die Ukrainer, nämlich meine Stimme zu erheben und mich mit ihnen zu solidarisieren, auch zu tun. Ich bin jedes Mal wieder beeindruckt von den ukrainischen Menschen, vor allem von den jungen. Sie lieben ihr Land, kämpfen dafür und sind dankbar für jede Hilfe.
Heute habe ich gelernt, wie man den Menschen im Iran und anderen Ländern, in denen das Internet zensiert ist, helfen kann. Mit dem Add-on „Snowflake“ für Firefox und Chrome bzw. der Internetseite https://snowflake.torproject.org/ kann man einen Proxy bereitstellen, mit dem die Menschen die Zensur umgehen können. Eine Handvoll Klicks für mich, für einen Menschen im Iran die Möglichkeit, der Welt mitzuteilen, was dort geschieht.
Ja, das sind meine kleinen Schritte, so winzig und unbedeutend sie mir auch vorkommen mögen, hoffe ich doch, dass sie etwas bewirken. Aber die Sorge um die Zukunft in unserem Land, in Europa und der Welt bleibt trotzdem. Das Gefühl zu wenig zu tun auch. Was kann ich tun, um die berechtigten Sorgen der armen Menschen in Deutschland vor diesem Winter und der Energiekrise zu lindern? Wie wird der Krieg in der Ukraine weitergehen? Und die Bilder von den hungernden Menschen in Somalia und anderen Ländern kann mich doch auch nicht kalt lassen?
Ich denke, es ist an der Zeit, die eigene Komfortzone zu verlassen. Wie das genau aussieht, weiß ich noch nicht, aber ich spüre, dass mich etwas antreibt. Vielleicht ist es auch die Abenteuerlust, die in mir wieder erwacht ist, aber auch das Bedürfnis (und die Selbstverständlichkeit) mich ehrenamtlich zu engagieren, was seit meinem Rückzug aus der Kirche darniederliegt. Mal sehen, wo es mich hintreibt.