Zehn Tage war ich als Freiwillige in Lwiw in der Ukraine – diese zehn Tage zählen zu den wichtigsten Erfahrungen meines Lebens. Es war kein klassischer Urlaub, auf eine gewisse Weise anstrengend, aber sehr erfüllend.
Schon allein Lwiw gesehen zu haben, diese wunderschöne Stadt, ist etwas, von dem ich gar nicht wusste, dass ich es vermisse. Von allen Städten, in denen ich war, ist sie mit Abstand die beeindruckendste. Ein solches geschlossenes Stadtbild aus Häusern verschiedener Epochen (Renaissance, Barock, Klassizismus, Historismus, Jugendstils und Art déco), noch dazu in dieser Größe, ist einfach überwältigend. Die Stadt lebt, ist quirlig und voller Energie. Ja, vieles ist renovierungsbedürftig, aber dieser „shabby chic“ macht auch den Charme Lwiws aus. Ein Besuch in der Oper von Lwiw darf natürlich nicht fehlen und ich habe mich sehr gefreut, dass die in der Ukraine sehr beliebte Oper „Die Saporoger an der Donau“ (Saporoger sind die Kosaken) von Semen Hulak-Artemovskyj gespielt wurde, einem ukrainischen Komponisten. Auch wenn ich vom Text nicht viel verstanden habe, war ich sehr begeistert, denn die Musik, die Sänger und das Bühnenbild waren toll.





Leider ist auch in Lwiw der Krieg allgegenwärtig, die Lebendigkeit der Stadt kann darüber nur auf den ersten Blick hinwegtäuschen. Schon allein die regelmäßigen Luftalarme, meistens mitten in der Nacht, erinnern daran, dass sich die Ukraine im Krieg befindet. Überall begegnet man Soldaten, viele Gebäude – vor allem offizielle – sind mit Sandsäcken gesichert. An den Kirchen wurden die wertvollen Fenster mit Metall ebenso geschützt wie die Statuen, die verpackt wurden. In den Museen sind die meisten Werke nicht zu sehen oder nur die Kopie, denn sie werden an sicheren Orten gelagert.




In der Kirche Peter und Paul ist fast jeden Tag mindestens ein Gottesdienst für einen gefallenen Soldaten. An einem habe ich teilgenommen und es hat mir das Herz gebrochen, die trauernde Familie und die weinenden Kameraden des Gefallenen zu sehen. So viele junge Menschen müssen ihr Leben lassen für diesen sinnlosen Krieg. So viel Trauer, so viel Schmerz! Gerade als der Sarg gesegnet wurde, ging der Luftalarm los – nicht einmal in diesen schmerzvollen Stunden werden die ukrainischen Menschen vom russischen Terror verschont. Neben dem großen Lytschakiwski-Friedhof musste ein neuer Friedhof angelegt werden für die Gefallenen dieses Krieges. Hunderte von Gräbern sind es inzwischen. Ich bin hingegangen, um die Soldaten zu ehren und ihrer zu gedenken. Aber lange war ich nicht dort, ich kam mir angesichts der Frauen und Kinder an den Gräbern wie ein Eindringling vor und wollte die Menschen in ihrer Trauer nicht stören.

Gerade diese Erlebnisse sind es, die mich motivieren, mich weiter und noch mehr für die Ukraine zu engagieren. Sie brauchen und verdienen unsere volle Unterstützung. Spätestens nach der Sprengung des Staudammes in Nova Kakhovka, der massiven Angriffe auf die vielen mutigen Helfer und der Tatsache, dass den Menschen in den von Russland besetzten Gebieten nicht nur nicht geholfen wird, sondern vor der Sprengung ihre Boote zerstört wurden, habe ich nur noch tiefste Verachtung für die Terroristen aus Russland. Ein Gefühl, das ich von mir eigentlich nicht kenne.
Am liebsten wäre ich in Lwiw geblieben und hätte weiter geholfen. Neben all dem Leid, das so präsent ist, habe ich durch die Arbeit bei Front Line Kitchen viele wunderbare Menschen kennengelernt, aus der Ukraine und aus allen Ländern der Welt. Sie alle unterstützen die Ukrainer in ihrem Kampf auf vielfältige Weise. Die Front Line Kitchen (FLK) wurde 2014 von zwei ukrainischen Frauen gegründet, die seitdem die ukrainischen Soldaten mit fertigen, gesunden Mahlzeiten – in getrockneter Form – versorgt. Inzwischen hat sie sich auch zu einer Drehscheibe für diverse Hilfstransporte entwickelt.
Die zentrale Aufgabe für Freiwillige bei FLK ist das Schälen und Schneiden von Gemüse, Obst und Früchten. So viele rote Bete habe ich in meinem Leben noch nicht geschält! Aber rote Bete ist das wichtigste Gemüse, denn sie wird für Borscht gebraucht, die traditionelle und sehr beliebte Suppe in der Ukraine. Dafür gibt es zum Glück einen Schredder, der die rote Bete oder auch Karotten klein schneidet. Alles andere muss von Hand geschehen. Aber mit vielen anderen am großen Tisch ist das ein Vergnügen, es wird viel gequatscht und gelacht. Einige Videos dazu:
Das Gemüse wird gereinigt und kleingeschnitten: https://youtu.be/5j7O4xUBDVg
Der Shredder, der vieles einfacher macht: https://youtube.com/shorts/axfzHDz-_Js?feature=share
Das geschnittene Gemüse wird dann getrocknet und anschließend werden die einzelnen Zutaten für ein Gericht genau abgewogen und in einen Beutel gefüllt (Video: https://youtu.be/CJg9Ofixrlc). Es gibt verschiedene Suppen, Kascha (Haferflocken mit Früchten), Tee und Gewürze (Video: https://youtu.be/HLakYAtTXp0). Die Soldaten müssen die Mischung dann nur noch 10 bis 20 Minuten in heißem Wasser kochen und haben so schnell eine gesunde Mahlzeit für 10-15 Personen.
Ich habe auch mitgeholfen, ein Tarnnetz zu machen – etwas, was ich nie gedacht hätte zu machen. Da es für die Soldaten an der Front aber überlebenswichtig ist, knüpft man als Freiwillige eben auch ein Tarnnetz. An einen Rahmen wird ein Netz aus stabilem Faden gespannt, an das grüne Stoffreste in einem unregelmäßigen Muster gewoben werden. Jeder und jede hat dafür seine/ihre eigene Technik entwickelt, meine Technik war „nach Gefühl“. Scheint ganz gut geworden zu sein, jedenfalls wurde ich von Natalija, der „Chefin“ sehr gelobt für mein Werk. 😉 Mir hat diese Arbeit Spaß gemacht, sie ist meditativ und irgendwie Kunst. Während Gemüse schälen und die Gerichte zusammenstellen nicht so offensichtlich etwas mit dem Krieg zu tun haben, war es beim Tarnnetz anders – gerne hätte ich auf diese Erfahrung verzichtet. Trotz allem Geschnatter und Gelächter, das mit den Arbeiten und manchen Sprachhürden in unserem Englisch-Ukrainischen Kauderwelsch auch verbunden ist, wissen alle, warum wir hier sind. Der Krieg liegt wie ein Schatten über allem.

Doch die Verbundenheit zwischen den Soldaten an der Front und den vielen Helfern im Hintergrund ist groß, auch wenn uns hunderte von Kilometern trennen. Immer wieder senden die Soldaten Dankesvideos an FLK und dieses Mal haben uns litauische Soldaten, die Essen an die Front liefern, Patronenhülsen aus Bachmut mitgebracht, als Dankeschön für die Freiwilligen. Was für ein Geschenk! Ich habe meine per Post nach Hause geschickt, an der Grenze kann es damit ziemlichen Ärger geben, das wollte ich nicht riskieren. Ich hoffe, sie kommt an.
Ja, es war eine ungewöhnliche Art Urlaub zu machen, aber einen klassischen Urlaub wollte und konnte ich nicht verbringen. Alle Gedanken dazu fühlten sich nicht richtig an, in mir sträubte sich etwas, „nur“ gemütliche Tage für mich zu verbringen. In der Ukraine gibt es so viel zu tun, auch Tätigkeiten, die wirklich jede(r) verrichten kann. Es ist sehr befriedigend, etwas mit den Händen zu schaffen, die Berge an Gemüse zu sehen, die wir geschält und geschnitten haben, die gefüllten Tüten mit den Mahlzeiten, das fertige Netz. „разом – gemeinsam“ heißt eine Initiative des ukrainischen Botschafters in Deutschland, das ist das Wort unter dem der Einsatz als Freiwillige steht. Gemeinsam mit den Ukrainern tragen wir dazu bei, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnen kann und die Menschen wieder in Frieden leben können. Gemeinsam geben wir den Ukrainern die Kraft und den Mut, weiterzukämpfen, ob an der Front oder im Hintergrund, denn die Kriegsmüdigkeit und Erschöpfung sieht man ihnen an. Gemeinsam bringen wir etwas Menschlichkeit und Liebe in die Ukraine, die so viel Leid und Tod erfahren muss.
„Volunteering is not just a task, or a way to be famous, it is an investment in kindness and compassion.“
„Freiwilligenarbeit ist nicht nur ein Aufgabe oder ein Weg berühmt zu werden, sie ist ein Investition in Menschenliebe und Mitgefühl.“
(volunteeringinukraine.com auf Twitter am 11.6.2023)
Keine Tätigkeit ist zu bedeutungslos, wenn man auf diese gemeinsamen Ziele hinarbeitet. Die Ukraine braucht und verdient unsere Unterstützung auf allen Ebenen, denn die russischen Terroristen wollen sie vernichten und dabei können wir doch nicht tatenlos zusehen! Meiner Unterstützung können sich die Ukrainer auf jeden Fall sicher sein, ich werde sicher wieder hinfahren und das tun, was gebraucht wird, aber auch zu Hause wieder auf Demonstrationen gehen, das Friedensgebet mitgestalten und vieles andere.

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