Frieden oder Freiheit?

Diese Frage stellte neulich jemand auf Twitter. Wenn ihr euch nur für Frieden oder nur für Freiheit entscheiden müsstet, was würdet ihr wählen? Ich hab darauf geantwortet, dass ich das nicht entscheiden kann, weil beides voneinander abhängt, dass es Frieden ohne Freiheit nicht gibt und Freiheit nicht ohne Frieden. Diese Frage lässt mich nicht mehr los. Ihr dürft mir beim Nachdenken zuschauen bzw. mitlesen …

Ich denke, zuerst muss man bei dieser Diskussion definieren, was man unter Freiheit und Frieden versteht. Beides ist für mich sehr vielschichtig, das sich gar nicht so einfach definieren lässt. Ich versuche es. Dem sei vorausgeschickt, dass mir natürlich klar ist, dass es die absolute Freiheit und den absoluten Frieden auf Erden, in dieser Welt nicht gibt.

Absolut frei ist für mich nur Gott, der sich frei – ohne Restriktionen durch Erziehung, Gesellschaft, Moral oder Instinkte – entscheiden kann. So ist meine Definition von Gottes Allmacht. Frieden in seiner absoluten Form verstehe ich wie den hebräischen Shalom, der mehr meint als die Abwesenheit von Krieg. Das hebräische Wörterbuch, „der Gesenius“, führt viele Definitionen für Shalom auf, eine ist mir nachhaltig im Gedächtnis geblieben: Ein Zustand, der keine Wünsche mehr offen lässt. Das war immer Gottes Auftrag an die israelitischen Könige, sie sollten für „Recht und Gerechtigkeit“ sorgen. Wie gut das geklappt hat kann man in der Bibel nachlesen (Spoiler: Gott war meistens nicht so richtig begeistert über die Ausführung seines Auftrags). In diesem Sinn halte ich Frieden für eine Utopie, wenn auch als Ziel erstrebenswert.

Wir Menschen sind Begrenzungen unterworfen, von denen wir uns nicht oder nur wenig befreien können. Instinkte, die für unsere Urahnen lebensnotwendig waren, beeinflussen – meist unbewusst – unsere Entscheidungen. Unsere Sozialisation und Erziehung setzen einen Rahmen, in dem wir uns bewegen, ethische und moralische Vorstellungen unserer Gesellschaft prägen unser Denken und Handeln, Gesetze und Verordnungen reglementieren unser Zusammenleben. (Immer öfter hege ich sogar Zweifel, ob der Mensch überhaupt einen wirklich freien Willen hat oder ob das nur eine Idee ist, die wir uns ausgedacht haben, um uns von den Tieren abzuheben. Aber das nur nebenbei, vorerst gehe ich davon aus, dass wir diesen freien Willen haben und folglich in Freiheit leben können.)

Insofern gehe ich von Frieden und Freiheit aus, wie sie uns Menschen mit all unseren Restriktionen möglich sind bzw. möglich sein können.

Für mich ist Freiheit zunächst das Leben ohne äußeren Zwang, dass ich mein Leben gestalten kann, wie ich es möchte, wie es in den Grundrechten festgelegt ist. Als Mensch geachtet zu sein, unabhängig von meiner Herkunft, Weltanschauung, Religion, Bildungsstand, Familienstand etc. Freiheit ist es auch, eine eigene Meinung zu haben und diese äußern zu dürfen. Die finanzielle Unabhängigkeit ist für mich ein Pfeiler, auf dem meine persönliche Freiheit steht. Als Gesellschaft sind wir frei, wenn wir freie Wahlen haben oder mit Entscheidungen der Regierung nicht einverstanden sein dürfen, ohne eine Verhaftung fürchten zu müssen. Wir sind frei, wenn wir offen über unterschiedliche Meinungen diskutieren können. Eine Gesellschaft ist frei, wenn die Mehrheiten die Minderheiten schützen und ihnen den ihnen zustehenden Raum geben. Unbedingter Respekt voreinander ermöglicht Freiheit.

Frieden zwischen Staaten haben wir in Westeuropa seit fast 80 Jahren, einen Frieden, der mehr ist, als die Abwesenheit von Krieg. Völker haben eine jahrhundertelange „Erbfeindschaft“, die unauflöslich schien, beendet und arbeiteten an einem vereinten Europa, das wirtschaftlich weitgehend prosperierte und Freiheit auf vielen Ebenen brachte. Ich halte es für ein großes Privileg, in dieser Zeit aufgewachsen zu sein und leben zu dürfen. Wie fragil so ein Frieden ist, wie sehr darum gekämpft werden muss, erleb(t)en wir immer wieder, in Europa und in der Welt.

Auch der Frieden im Kleinen, in unserem alltäglichen Leben, ist eine Herausforderung. Wir fühlen uns ungerecht behandelt, die Meinung eines Anderen fordert uns heraus, der Chef verlangt Unmögliches, die Kinder hören nicht zu – wir alle kennen das in der einen oder anderen Form.

Man könnte auch sagen, die Freiheit des anderen stört den Frieden. Seine oder ihre Freiheit trifft auf meine Freiheit, aber die Schnittmenge ist klein. Schon steht der Frieden auf wackeligen Beinen. Idealerweise – und meistens – finden zwei Menschen eine Lösung, die Schnittmenge ihrer Freiheiten zu vergrößern und damit friedvoll miteinander umzugehen. Aber wenn das nicht zustande kommt, ist der Frieden bedroht. Die persönliche Freiheit des Einzelnen birgt immer die Gefahr des Unfriedens, aber gleichzeitig ist sie auch die Möglichkeit zum Frieden, wenn wir an gemeinsamen Lösungen arbeiten.

Ein Frieden ohne Freiheit ist nur ein Scheinfrieden, der Differenzen negiert und die Menschen unterdrückt. Beispiele in der Weltgeschichte gab und gibt es genug. Irgendwann platzt diese Blase des vermeintlichen Friedens und die Freiheit bricht sich Bahn.

Und Freiheit ohne Frieden, geht das? Sind zum Beispiel die Menschen in der Ukraine, die in „sicheren“ Städten leben, ganz normal ihrer Arbeit nachgehen und ihren Alltag leben, aber trotzdem ständig in Sorge um ihr Leben oder das ihrer Angehörigen sind, wirklich frei? Ich würde mich wohl nicht frei fühlen, aber vielleicht sehen das die Menschen in der Ukraine anders. Wladimir Klitschko schreibt in einem Beitrag heute „The absolute good is not peace, but freedom and justice, and to defend them you must fight.“* Das absolute Gute ist nicht Frieden, sondern Freiheit und Gerechtigkeit, und um sie zu verteidigen, muss man kämpfen. Und er hat recht, Freiheit ist der Boden, auf dem Frieden gedeihen kann. Ja, Frieden und Freiheit sind keine Selbstverständlichkeit, sondern unsere höchsten Güter, um die wir uns jeden Tag bemühen müssen, im Kleinen wie im Großen.

* https://www.linkedin.com/pulse/ukraine-does-need-abstract-moral-sermons-concrete-klitschko?trk=public_profile_article_view

Mein Traum von Kirche

Unsortiert, unkommentiert, unvollständig

Der Glaube an Gott ist Grundlage unseres Handelns.

Wir glauben an die Kraft der Sakramente.

Bei den Sakramenten steht das Bedürfnis des Menschen nach diesem Sakrament im Vordergrund, nicht seine formale Disposition, die ihm Zugang dazu gewährt oder auch nicht.

Im Vordergrund steht der Mensch mit all seinen Stärken und Schwächen.

Alle sind willkommen und werden ernst genommen.

Wir haben den Mut zur Veränderung.

Die Botschaft der Kirche ist eine frohe Botschaft.

Wir werden als Christen als aufrichtige und authentische Menschen wahrgenommen.

Wir reden miteinander, statt übereinander.

Wir halten andere Meinungen aus.

Wir hören aktiv zu.

Wir können auch schweigen.

Wir sind eine empathische Kirche.

Regeln sind nur der Rahmen und nicht Selbstzweck.

Traditionen sind wichtige Ankerpunkte für den Einzelnen und die Kirche als Ganzes, aber werden nicht absolut gesetzt.

Innerkirchliche Debatten bleiben innerkirchlich und werden nicht in der Öffentlichkeit ausgetragen.

Jede(r) kann sich mit seinem/ihrem Charisma einbringen.

Das Wort „Macht“ spielt keine Rolle mehr, wenn wir über Kirche reden.

Es ist kompliziert – die Kirche und ich

Die katholische Kirche und ich, das ist seit längerem ein kompliziertes Verhältnis. Es gibt so vieles, was ich dazu aufschreiben kann und vielleicht werden aus diesem Thema mehrere Blogbeiträge. Derzeit ist von meiner Seite das Verhältnis eher kühl und dementsprechend wenig bin ich in der Pfarrei engagiert. Eigentlich bin ich ganz froh, dass bis auf Gottesdienste keine weiteren Veranstaltungen stattfinden und ich eine Zeit lang auf Distanz gehen kann, um mir zu überlegen, wie es für mich mit der Kirche weitergehen soll.

Mein Vertrauen in die Institution Kirche wurde schon durch die Missbrauchsfälle und deren schleppende Aufklärung erschüttert, der Schutz der Institution war und ist in vielen Fällen wichtiger gewesen als der Schutz der betroffenen Menschen. Auch wenn sich bislang einiges in der Prävention getan hat und redlich versucht wird, Missbrauch so weit wie irgend möglich zu verhindern, bleibt doch immer das Gefühl zurück, dass diese Maßnahmen nicht reichen, um verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Bislang konnte ich dieses Gefühl nicht richtig in Worte fassen, doch die heutige persönliche Erklärung von Kardinal Marx zu seinem Rücktrittsgesuch an den Papst hat das getan:

„Diese Krise berührt nicht nur das Feld einer notwendigen Verbesserung der Administration – das auch –, es geht mehr noch um die Frage nach einer erneuerten Gestalt der Kirche und einer neuen Weise, heute den Glauben zu leben und zu verkünden. Und ich fragte mich: Was bedeutet das für dich persönlich?“

Persönliche Erklärung von Reinhard Kardinal Marx am 4. Juni 2021

Ich bin ehrlich beeindruckt, dass Kardinal Marx diesen Schritt geht und halte ihn für richtig, gleichzeitig bedauere ich ihn, denn er ist einer der Bischöfe in Deutschland, der erkannt hat, dass sich die Kirche ändern muss, dass ein „Weiter so“ die Kirche in die Bedeutungslosigkeit führen wird. Kardinal Marx geht den schmerzhaften Weg des Schuldeingeständnisses, als Vertreter einer Institution und als Christ. Ist das nicht ein auch ein Glaubenszeugnis, Schuld einzugestehen? Nur so kann doch Versöhnung erst möglich werden. Konzepte zur Missbrauchsprävention zu erarbeiten, mit den betroffenen Menschen zu reden und sie zu entschädigen und die Aufarbeitung dieser Taten voranzutreiben, ist zweifellos wichtig, aber das ist, wie Kardinal Marx heute sagte, ein administrativer und juristischer Umgang mit den Missbrauchsfällen. Die andere Seite ist die Sünde gegenüber den Menschen und letztlich gegenüber Gott. Diese Sünde kann nicht mit Geld oder bloßen Worten des Bedauerns, ohne persönliche Konsequenzen weggewaschen werden. Hier braucht es ehrliche Reue und den Willen zur Umkehr und Neuorientierung. Das hat Kardinal Marx heute vorgemacht und das finde ich bemerkenswert.

Zugleich habe ich Sorge, dass durch den (voraussichtlichen) Rücktritt von Kardinal Marx die Gläubigen, die sich Reformen wünschen, einen wichtigen Fürsprecher und Mitstreiter verlieren und die beharrenden Kräfte wieder Oberhand gewinnen. Die zarten Schritte in eine neue Zukunft drohen stehenzubleiben. Ich bin gespannt, eher angespannt, wer ihm als Erzbischof von München und Freising nachfolgen wird.

Diese beharrenden Kräfte haben auch dafür gesorgt, mich noch mehr zu erschüttern als ich es von der Missbrauchskrise sowieso schon war. Das Verbot der Segnung homosexueller Paare hat mir, wie so vielen, den Boden unter den Füßen weggezogen. Um einen Segen zu erhalten, braucht es doch keine besondere Disposition, keine Voraussetzung, die irgendwelchen Normen des Kirchenrechts entspricht. Wer um den Segen bittet, bekommt ihn. So einfach ist das doch. Dass man darüber diskutieren kann und will, rüttelt für mich an den Fundamenten unseres Glaubens. Jesus hat sich doch aller Menschen angenommen und das ist auch unser Auftrag als Christen. Der Segen, im wörtlichen (lateinischen) Sinn jemanden etwas Gutes zuzusprechen, ist doch kein Mittel des Urteils über die Lebensweise der Menschen. Bei Tieren, Häusern und Motorrädern fragt ja auch keiner danach, die werden einfach gesegnet.

Auch hier sehe ich wieder die Kräfte am Werk, denen der Schutz der Institution und deren Lehre wichtiger ist, als das Evangelium. Wollen wir wirklich soviel Zeit damit verbringen, über Strukturen, Ämter und Macht zu diskutieren und das Bild eines zerstrittenen Haufens abgeben, der sich in Diskussionen verstrickt, die jedem weltlichen Unternehmen „würdig“ wären? Natürlich muss auch darüber gesprochen werden, keine Frage, aber unsere Kernkompetenzen, der Glaube, die Liebe und die Hoffnung kommen in den letzten Jahren nur am Rande vor. Oder wie es Erzbischof Cristóbal López aus Marokko treffend sagte:

„Es gibt Orte, an denen es viel Kirche und wenig Reich (Gottes) gibt.“

https://www.katholisch.de/artikel/29922-kardinal-mancherorts-gibt-es-viel-kirche-aber-wenig-reich-gottes

Insofern bin ich Kardinal Marx auch dankbar für seine geistliche Begründung seines Rücktrittsgesuchs. „Wer sein Leben zu bewahren sucht, wird es verlieren; wer es dagegen verliert, wird es erhalten.“ (Lk, 17,33), sagte er. Nur so können wir als Kirche wieder glaubwürdig werden, wenn die Botschaft und unser Handeln übereinstimmen, wenn wir uns – in einem positiven Sinn – von der Welt unterscheiden. Sein Rücktritt gibt mir eine kleine Hoffnung zurück, dass zumindest ihm die Institution Kirche und ihre Botschaft wichtiger sind als persönliche Eitelkeiten. Mich stimmte es auch trotz aller Erschütterung und fast schon Verzweiflung nach der Entscheidung aus dem Vatikan zuversichtlicher, dass viele Bischöfe über dieses Schreiben fassungslos waren. Es fällt mir nicht leicht, mich aus der Kirche zurückzuziehen, weil ich grundsätzlich die christliche Botschaft leben und vermitteln will, aber derzeit fehlt mir die Kraft und die Überzeugung für die katholische Kirche einzustehen. Dazu sind für mich die Vorkommnisse und Entscheidungen der letzten Monate und Jahre – in der Weltkirche, aber auch in der Ortskirche – zu gravierend und fundamental, um sie wegerklären oder tolerieren zu können. Ich hoffe, eines Tages diese Überzeugung wieder zu haben und wünsche es mir. Derweil werde ich darüber mit Kardinal Marx darüber nachdenken, was eine erneuerte Kirche für mich persönlich bedeutet.

Die Beginen

Auszug aus meiner Diplomarbeit über Mechthild von Magdeburg und ihr Buch „Das fließende Licht der Gottheit“

Eine wichtige Gruppierung in der Armutsbewegung ab dem 11. Jahrhundert sind die Beginen, die um die Jahrhundertwende des 12./13. Jahrhundert entstanden und eine gemeinschaftliche Lebensform in Armut und Keuschheit wählten ohne einem Orden anzugehören. In der Forschung existieren vielfältige Theorien über die Motivation hinter dieser Bewegung, die die Beginen jedoch häufig ideologisch vereinnahmen (wie etwa der Marxismus oder der Feminismus) oder den Blick auf sie zeitgeschichtlich überformen. Bei (kirchen-) geschichtlichen Untersuchungen zu den Beginen treten zahlreiche Schwierigkeiten auf, die eine Einordnung der Beginen in Kirche und Gesellschaft erschweren. Zunächst herrscht Unklarheit über die Entstehung. Verschiedene Gründerthesen und -legenden erwiesen sich als nicht haltbar, ebenso erscheinen Theorien über ein plötzliches Auftauchen oder gar eine Einordnung als frühe Emanzipationsbewegung als fragwürdig. Des weiteren ist die Bezeichnung für die Gemeinschaften in den Quellen sehr uneinheitlich, gerade in den Anfängen ist meist nur von „religiösen Frauen“ die Rede. Auch der Ursprung des Begriffes „Begine“ gab Anlass zu zahlreichen Theorien, die letztlich ergeben, dass diese Frage wohl nicht befriedigend und definitiv geklärt werden kann. Unter Berücksichtigung dieser Unsicherheiten und der Tatsache, dass es sich um eine heterogene Bewegung handelte, die regionale Ausprägungen hatte, zeigen sich doch einheitliche Charakterzüge des Beginenwesens und ihre Bedeutung für Kirche und Gesellschaft des 13. Jahrhunderts.

Der Beginenhof in Brügge, einer der größten und mit dem Status einer Pfarrei.

Die Entstehungszeit lässt sich nur sehr vage angeben. Beim Zweiten Laterankonzil 1139 werden Frauen erwähnt, „die zwar nicht nach der Regel des seligen Benedikt, Basilius oder des Augustinus leben, jedoch allgemein als Nonnen anerkannt werden möchten“. Trotz der Ähnlichkeit der Lebensform lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, ob damit schon Beginen gemeint sind, denn weitere Ausführungen oder Beschreibungen dazu fehlen. Die ersten Informationen aus der Hand eines Augenzeugen liefert Jakob von Vitry (gest. 1240), der ein Fürsprecher und Unterstützer der neuartigen Bewegung war. Anlässlich seiner Weihe zum Bischof von Lüttich durch Papst Honorius III. im Jahr 1216 erwirkte er bei diesem das Privileg „für die frommen Frauen im Bistum Lüttich und in ganz Frankreich, in Gemeinschaftshäusern zu wohnen und sich einander durch gegenseitige Ermahnungen im rechten Tun zu bestärken“. Leider wurde diese Erlaubnis nur mündlich erteilt, der einzige Nachweis ist Jakobs Brief an seine Freunde vom Oktober 1216. Sie zeigt aber, dass es von Seiten des Papstes zu der Zeit keine wesentlichen Bedenken gegen diese Lebensform gab und die Beginen auch nicht unter das Verbot von Ordensneugründungen von 1215 fielen. Einen weiteren sicheren Hinweis auf die Entstehung des Beginenwesens am Anfang des 13. Jahrhundert liefert die Stiftung eines Grundstücks an die Beginen in Tirlemont im Herzogtum Brabant 1202. Das Herzogtum und die Grafschaft Flandern scheinen der Ausgangspunkt der Bewegung gewesen zu sein, die sich rasch verbreitete. Für das Deutsche Reich ist eine gleichmäßige Ausbreitung von Beginenkonventen zu verzeichnen, die zwischen 1250 und 1350 ihre Blütezeit hatten. Trotz der anfänglichen Unterstützung und ihrer Nähe zu den anerkannten Bettelorden schwankte die weitere Geschichte der Beginen – je nach Region oder Stadt und je nach dem Wohlwollen des jeweiligen Bischofs, Stadtherrn oder anderer Fürsprecher und Gegner – zwischen Anerkennung und Ablehnung bis hin zum Häresie-Verdacht. Prominentestes Opfer der Inquisition ist die französische Begine Marguerite Porète, die 1310 hingerichtet wurde, allerdings nicht wegen ihres Beginenstatus, sondern aufgrund ihrer Schrift Der Spiegel der einfachen Seelen. Doch ihre Verurteilung strahlte auch auf die Beginen insgesamt aus, die pauschal in Häresie-Verdacht gerieten. Dies führte in der Folgezeit zur Auflösung vieler Beginenkonvente, die sich meist den regulierten Orden oder Drittorden anschlossen. Im Gefolge der Reformation verschwanden sie – von einzelnen Ausnahmen abgesehen – aus dem Bild der Geschichte.

Maria mit dem Kinde im Beginenhof in Brügge.

Das Anstoß Erregende am Beginentum war deren Lebensweise, die nicht in den Ordo der Kirche zu passen schien, „[d]enn sie versprechen niemandem Gehorsam, entsagen nicht des Besitzes und bekennen sich zu keiner approbierten Regel. Gleichwohl tragen sie den sogenannten Beginenhabit und hangen irgendwelchen Religiosen an, zu denen sie sich innerlich hingezogen fühlen.“ Sie gehörten keinem Orden an – die geistliche Betreuung übernahmen in der Regel die Franziskaner und Dominikaner – und lebten doch ordensähnlich in Armut und Keuschheit, in Gemeinschaften unterschiedlicher Größe mit je eigenen Hausregeln. Es gab einzeln lebende religiöse Frauen, sowie Frauen, die in Privathäusern mit einer festen Organisation als Gemeinschaft in der Gesellschaft lebten, schließlich „klausurierte“ Beginen, die abgesondert von der Welt in größeren Beginenhöfen – vor allem in Flandern und Brabant – wohnten, die mitunter auch den Status einer Pfarrei erlangen konnten. Die Konvente hatten keine übergeordnete Einheit, die eine Regulierung oder Aufsicht übernommen hätte oder als „Interessenvertretung“ hätte fungieren können. So gaben sich die Konvente eigene Hausstatuten, die zwar die Interessen des oder der jeweiligen Gründer(in) widerspiegeln, aber doch einen gemeinsamen Kern hatten: Die Nachfolge Christi im Dienst an den Armen, Bedürftigen, Kranken und Sterbenden und durch ein Leben in Keuschheit und Armut, sowie durch Übungen wie Gebet, Fasten oder Almosengeben. Darin waren die Beginen freier und flexibler als die klausurierten Nonnen in einem Kloster und lebten daher ihr religiöses Leben in der Gesellschaft. Bemerkenswert ist, dass der Großteil der Beginen aus begütertem oder adligem Hause kam und wohl bewusst auf den Reichtum und das Ansehen verzichtete, die „als unvereinbar mit dem Geist des Evangeliums und dem Willen Gottes“ betrachtet wurden. Das Vermögen, das diese Frauen in die Gemeinschaft einbrachten, bildete eine Säule des wirtschaftlichen Unterhalts des Konventes, neben den meist handwerklichen und pflegerischen Tätigkeiten der Beginen und den Stiftungen und Zuwendungen der Gönner(innen).

Die Beginen lebten also eine Form religiöser Überzeugung, die auf der einen Seite den anerkannten Bettelorden und der Büßerbewegung sehr nahe stand und für die sozialen und wirtschaftlichen Belange einer Stadt von Wichtigkeit waren, aber auf der anderen Seite doch nicht in das Gefüge der kirchlichen und gesellschaftlichen Ordnung des 13. Jahrhunderts passte. Die Frauen brachen bewusst aus diesen Ordnungen aus, was entweder Bewunderung oder Ablehnung hervorrief. Ins Fadenkreuz der kirchlichen Obrigkeit gerieten auch die Beginen, die sich anmaßten, in ihrer Volkssprache über Glaubensfragen zu schreiben, wie Mechthild das tat, oder die in volkssprachlichen Bibeln lasen. Stellte diese Anmaßung doch einen mehrfachen Frevel dar: Ein Laie, noch dazu eine Frau, offenbart Gottes Wort in der profanen Sprache, ohne in die kirchliche Ordnung eingebunden zu sein. Man mag es – aus der Sicht einer emanzipierten Frau des 21. Jahrhunderts – als späte Genugtuung sehen, dass gerade diese volkssprachlichen Texte die jeweiligen Sprachen entscheidend mitgeprägt haben.

Beginen gibt es auch heute noch bzw. wieder: https://www.dachverband-der-beginen.de/startseite

Literatur:

Reichstein, Frank-Michael, Das Beginenwesen in Deutschland. Studien und Katalog,
Berlin 2001.

Grundmann, Herbert, Religiöse Bewegungen im Mittelalter. Untersuchungen über die geschichtlichen Zusammenhänge zwischen Ketzerei, den Bettelorden und der religiösen Frauenbewegung im 12. und 13. Jahrhundert und über die geschichtlichen Grundlagen der Deutschen Mystik (Historische Studien, Heft 267), Berlin 1935.

Unger, Helga, Die Beginen. Eine Geschichte von Aufbruch und Unterdrückung der Frauen (Herder-Spektrum 5643), Freiburg 2005.

Dein Wille geschehe

„Dein Wille geschehe“ (Ainsi soient-ils, 2012 – 2015) ist eine französische Serie, die in drei Staffeln mit je acht Folgen das Leben fünf junger Männer in einem (fiktionalen) Priesterseminar, ihren Weg zur Entscheidung und ihre Auseinandersetzung mit ihrem Glauben und der Kirche zum Thema hat. Wenn man großzügig über einige inhaltliche Mängel – die zum Teil auch der deutschen Übersetzung geschuldet sind – hinwegsieht, zeigt die Serie die ganze Bandbreite dessen, was Kirche sein kann und welche Herausforderungen es für jeden Christen und speziell für angehende Priester ist, den Glauben authentisch, überzeugend und mit einem inneren Gleichgewicht zu leben und zu verkünden. Die Schwäche, die „Dein Wille geschehe“ zweifellos hat, nämlich viele Themen aufzunehmen, sie aber meistens nur anzureißen und nicht zu Ende zu führen, ist gleichzeitig auch ihre Stärke. Sie hinterlässt den Zuschauer mit vielen Fragen, die zum eigenen Nachdenken und Hinterfragen der eigenen Position anregen. Das zentrale Thema ist die Entscheidung, eine Thema mit dem nicht nur Priesteramtsanwärter konfrontiert sind, sondern jede und jeder von uns, in allen Lebensphasen.

Die fünf jungen Männer, die Priester werden wollen, stehen prototypisch für die vielen Wege, die zu Gott führen – oder auch von ihm weg: Yann, der aus gut katholischem Elternhaus stammt, Pfadfinder ist, auf einer katholischen Schule war und dessen Weg vorgezeichnet scheint. Guillaume, ehemaliger Sozialarbeiter, homosexuell, mit einem guten Herz, aber wenig Mut zur Entscheidung. Raphaël, aus reichem Elternhaus, hat die vorgezeichnete Karriere im väterlichen Konzern ausgeschlagen und wäre bei den Karmelitern eigentlich am glücklichsten und landet dann doch im Zentrum der Macht, in Rom. Emmanuel, erfolgreicher Archäologe, homosexuell, verzweifelt fast an den Zwiespältigkeiten seines Lebens bis er sich endlich entscheidet, das Seminar zu verlassen. José saß acht Jahre wegen eines Mordes im Gefängnis, hat kurz nach dem Mord zum ersten Mal Gott gespürt und beschäftigt sich seitdem intensiv mit der Bibel und anderen Schriften, neigt aber immer wieder zu Extremen und alten Verhaltensmustern.

Die aus meiner Sicht stärksten Figuren sind Yann und José, deren Lebenswege kaum unterschiedlicher sein könnten. Yann, der Jüngste der fünf, ist am Anfang noch reichlich idealistisch und naiv, die Konfrontation mit dem „wirklichen“ Leben – in Gestalt einer jungen Frau oder fragwürdigen Aktionen seiner Kollegen – bereitet ihm anfangs großes Unbehagen. Aber er stellt sich den Auseinandersetzungen, seinen Zweifeln und seinen Gefühlen, er bezieht Position. Er stellt fest „meine Entscheidung war gar keine Entscheidung“, weil sein Weg von Anfang an vorgezeichnet war. Seine Stärke ist es, sich im Laufe der Zeit im Seminar wirklich zu entscheiden, erwachsen zu werden, auch im Glauben. Yann hat ein gutes Gespür für die Menschen und ist hilfsbereit, lernt aber auch hier Grenzen zu setzen.

José, aus schwierigen Familienverhältnissen stammend, wird zu Anfang der Serie aus dem Gefängnis entlassen und bewirbt sich bei verschiedenen Seminaren, wird aber überall abgelehnt. Nur der Prior Etienne Fromanger des renommierten Pariser Kapuzinerseminars sieht in ihm einen geeigneten Kandidaten und nimmt ihn an. Seine Herkunft und seine Schuldgefühle wegen seiner Vergangenheit machen es ihm nicht leicht, sich zu integrieren. José liest viel und redet wenig, aber wenn er redet, hat es Substanz. Er setzt sich vehement für andere Menschen und die Gerechtigkeit ein, schießt damit allerdings immer wieder über das Ziel hinaus. Er findet im Laufe der Serie immer mehr zu seiner Mitte und eine Balance zwischen seinem fast zwanghaften Drang nach Wiedergutmachung für seine Tat und der Seelsorge für die Menschen. José schafft es, seine Vergangenheit und seine Schuld anzunehmen und gewinnt daraus die Stärke für sein Priesteramt.

Dagegen bleiben Guillaume und Raphaël als Figuren blass. Eine Entscheidung ist bei Guillaume nicht zu erkennen, er schwimmt immer im Strom, zumindest nach außen, führt aber am Ende ein Doppelleben als Priester in einer homosexuellen Beziehung mit Emmanuel. Er wird aber weder der Beziehung noch seinem Priesteramt gerecht, ist im Grunde unglücklich, hat aber nicht den Mut, sich für das eine oder das andere zu entscheiden. Ähnlich ergeht es Raphaël, der letztlich das tut, was von ihm verlangt wird und der sich in die Machtspiele und Intrigen bei der französischen Bischofskonferenz hineinziehen lässt. Er, der mit diesen weltlichen Mechanismen von Macht und Geld gerade nichts mehr zu tun haben wollte und am liebsten zu den Karmelitern – einem klausurierten Orden – gegangen wäre, bleibt gehorsam und folgt nicht seinem Herzen.

Die Serie nimmt auch die Kirche als Ganzes kritisch in den Blick, wertfrei, aber wohl realistisch. Die Arbeit in der französischen Bischofskonferenz ist geprägt von Finanzschwierigkeiten, Intrigen, Machtspielchen, Profilierungssucht. Auch der alternde Papst ist nur ein Spielball zwischen den konservativen und progressiven Kräften in der Kurie. Yann deckt an seiner ersten Pfarrstelle den sexuellen Missbrauch an Kindern auf und ist fassungslos, dass nach seiner Mitteilung an seinen Vorgesetzten lange nichts unternommen wird, um aufzuklären und die Kinder zu schützen. Die jungen Priester müssen sich in der dritten Staffel mit desillusionierten Pfarrern auseinandersetzen, die den Bezug zu ihrer Gemeinde längst verloren haben.

Wer in der katholischen Kirche engagiert ist, wird sich in vielem, das in der Serie an- und ausgesprochen wird, wiederfinden. Wohin wird die Kirche gehen? Etienne Fromanger, der Prior des Seminars erkennt es sehr deutlich: „ Die Welt ändert sich. Wenn wir sie nicht mehr verstehen, werden wir uns auflösen.“

„Dein Wille geschehe“, bis 14. Juni 2021 in der arte Mediathek.

https://www.arte.tv/de/videos/RC-019561/dein-wille-geschehe/