Freundschaft

Ein Thema, das mich in letzter Zeit beschäftigt, habe ich in der Überschrift schon angedeutet. Seit etlichen Jahren bin ich bei facebook (im folgenden fb abgekürzt) und habe es zu schätzen gelernt. Nun ist diese Welt viergeteilt: 1) Menschen, die praktisch in fb leben, 2) Menschen, die bei fb sind und dort auch regelmäßig aktiv, 3) Menschen, die bei fb mehr den Status einer Karteileiche haben und 4) Menschen, die fb kategorisch ablehnen. Letztere werden nicht fertig darüber abzulästern, wie sinnlos soziale Netzwerke wie fb sind. Die Hauptargumente sind meist, dass die Leute, die bei fb sind, unfähig sind reale Freundschaften aufzubauen und sich mal besser auf einen Kaffee treffen sollten anstatt online miteinander zu kommunizieren.

Offensichtlich haben diese Menschen alle ihre Freunde im Umkreis von 500 m, wo man sich schon mal eben auf einen Kaffee treffen kann. Bei mir ist es nicht so. Ich wohne in München, meine Familie lebt etwa 70 km entfernt, meine Freunde z. B. in Berlin, Magdeburg, Oberhausen, Montreal. Klar, da kann man sich doch problemlos treffen und mal schnell die Neuigkeiten austauschen!

Was mich aber noch mehr beschäftigt ist der Begriff „reale“ Freundschaft. Was ist das? Sind die Menschen, die ich ausschließlich über facebook kenne und von denen ich einige durchaus als Freunde bezeichne, weniger real als die Menschen, die ich jede Woche sehe? Nach der Definition, dass fb-Freundschaften (da virtuell) keine realen Freundschaften sind, wäre meine Brieffreundin aus Kanada, die ich seit 27 Jahren kenne, auch keine richtige Freundin. Wir haben uns die ersten 5 Jahre unserer Freundschaft nur Briefe geschrieben – in gewisser Weise auch nur eine virtuelle Freundschaft. Gesehen haben wir uns zweimal. Obwohl sie vielleicht mehr an meinem Leben teilgenommen hat als viele andere Freunde in meinem Leben (schon allein deswegen, weil sie 2/3 meines Lebens begleitet hat), soll unsere Freundschaft weniger real sein?

Die Realität einer Freundschaft ist doch nicht vom Kommunikationsweg abhängig und davon, ob und wie oft man sich sieht. Wie seht ihr das?

Wende dein Gesicht der Sonne zu …

…, dann fallen die Schatten hinter dich. Dieses afrikanische Sprichwort hat der Autor Obiora Ike für sein Buch gewählt. Er ist katholischer Priester aus Nigeria, der in Deutschland studiert hat. Heute ist er Generalvikar einer Diözese in Nigeria, Hochschulprofessor und Kämpfer für die Menschenrechte.
Dieses Buch habe ich fast in einem Rutsch durchgelesen und ich bin sicher, ich werde es immer wieder zur Hand nehmen. Es ist die Sicht eines Afrikaners auf Deutschland und der Deutschland liebt wie seine Heimat.
Dieses Buch ist ein Plädoyer – ein Plädoyer an uns Deutsche, uns wieder auf unsere Tugenden und unsere Schätze zu besinnen und gleichzeitig ein bisschen afrikanischer zu werden.
Ein Plädoyer gegen den Relativismus, gegen den Egal-ismus und eines dafür, Position zu beziehen, in weltlichen und christlichen Fragen.
Es ist ein Plädoyer für Gott und den Glauben an ihn. Und dafür, ihn wieder in unser Leben zu lassen.
Es ist ein Plädoyer gegen die „German Angst“(*) und für mehr Vertrauen – zu Gott und den Menschen.
Das Buch ist ein Plädoyer gegen die Einsamkeit und eines für mehr Beziehung.
Kurz: Dieses Buch ist eine Predigt auf 269 Seiten, nicht nur für Christen, nicht nur für Deutsche, sondern für alle Menschen, denen es nicht egal ist, was in der Welt, in ihrem Land, in ihrer Nachbarschaft, in ihrer Familie geschieht.

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(*) Diesen Ausdruck gibt es im Englischen tatsächlich und beschreibt die eher abstrakte Angst, die sich nicht auf eine bestimmte Sache bezieht, sondern mehr eine allgemeine Lebensangst. Sollte uns das nicht zu denken geben?

Geschichte einer deutschen Familie

So lautet der Untertitel des Buches „Meines Vaters Land“ von Wibke Bruhns. Ich habe es gerade zu Ende gelesen und stehe noch ganz unter dem Eindruck dieses bewegenden, interessanten und spannenden Buches.

Der Vater von Wibke Bruhns, Hans Georg Klamroth, wurde als Mitwisser des Attentats auf Hitler am 20. Juli 1944 hingerichtet. Seine jüngste Tochter Wibke war damals knapp 6 Jahre alt. Sie hat keine Erinnerungen an ihn, da er während des Krieges kaum zu Hause in Halberstadt war. Sie vermisste ihn auch nie, bis sie eines Tages Filmaufnahmen von ihm bei seinem Prozess sieht. Sie schreibt: „Aber ich erkenne mich in ihm – seine Augen sind meine Augen.“ Daraus entspringt der Entschluss, ihrem Vater näher zu kommen, sich um ihn zu kümmern, wie sie es nennt.

Es entsteht eine Familiengeschichte, die vom Aufstieg und Fall der Firma und der Familie erzählt, von den täglichen Sorgen und Freuden. Das Buch ist aber auch der Versuch, den Vater und auch die Mutter zu verstehen, die Mitglied der Partei waren, anfangs zumindest auch glühende Anhänger Hitlers. Sie versucht aus den vielen Briefen herauszulesen, warum ihr Vater erst sehr spät Zweifel bekommt, warum er im 1. Weltkrieg voller Begeisterung Soldat war. Warum er gegenüber der Judenverfolgung so gleichgültig war. Nicht immer findet sie eine Antwort darauf.

Was mich am meisten bewegt hat, war die Leistung ein Buch zu schreiben, das die Geschichte von gut 100 Jahren mit journalistischer Distanz erzählt und gleichzeitig ein doch sehr persönliches Buch ist. Wibke Bruhns wahrt die Distanz zu ihrem Vater und kommt ihm doch sehr nahe. Sie stellt ihn auf kein Podest, weil er als Mitwisser hingerichtet wurde, sondern setzt sich sehr kritisch mit ihm auseinander. Oft kommentiert sie z. B. seine Briefe mit „Der spinnt!“.

Ich kann dieses Buch also nur wärmstens empfehlen, selten habe ich ein „Geschichtsbuch“ gelesen, das ich fast nicht mehr aus der Hand legen konnte.

Zum Abschluss noch ein Zitat aus dem letzten Kapitel: „Dein Leben lag in einer fürchterlichen Zeit, und wenn es denn für die Kinder besser werden sollte, das ist gelungen. Du hast den Blutzoll bezahlt, den ich nicht mehr entrichten muß. Ich habe von dir gelernt, wovor ich mich zu hüten habe. Dafür ist ein Vater da, nicht wahr? Ich danke dir.“

Philosophie und Hollywood

Was hat die Philosophie des Mittelalters mit einem amerikanischen Film aus dem Jahr 2004 gemeinsam? Genauer gesagt mit dem Film „Vergiss mein nicht!“. Die Antwort auf diese spannende Frage ist folgende:

Von 1079 bis 1142 lebte der Philosoph Petrus Abaelard, der ein streitbarer Zeitgenosse war. Um 1113 begann er Theologie zu studieren. Die Vorlesungen genügten aber nicht seinen Ansprüchen und er begann selbst Vorlesungen zu halten – mit großem Erfolg. In dieser Zeit verliebte er sich in Heloise, was nicht ohne Folgen blieb: 1118 wurde ihr gemeinsamer Sohn Astrolabius geboren. Der Onkel von Heloise fühlte sich von Abaelard hintergangen und ließ ihn entmannen! Daraufhin drängte Abaelard Heloise in ein Kloster zu gehen (wo sie später sogar Priorin wurde). Er selbst nahm seine durch diese Affäre unterbrochenen wissenschaftlichen Studien wieder auf. Die, nebenbei bemerkt, immer wieder aneckten und zu seiner zeitweiligen Verurteilung als Häretiker führten. Später wurde er Abt eines Klosters in der Bretagne und er schenkte in dieser Funktion den Nonnen von Argenteuil, dessen Priorin Heloise war, das Oratorium von Paraklet und übernahm deren geistliche Begleitung …

Wer nun meinen Artikel über den Film aufmerksam gelesen hat wird den Zusammenhang schnell erkannt haben. 😉 Das Gedicht „Eloisa to Abelard“ von Alexander Pope ist eine wunderschöne, herzzerreißende Liebeserklärung an die unerfüllte Liebe der Heloise an Abaelard (*seufz*) – und eine Zeile daraus ist der Original-Titel des Films!

Man lernt im Theologiestudium manchmal auch ungeahnte Zusammenhänge kennen …

Ein Leben für ein Leben

Heute Nachmittag war ich mal wieder im Kino, in einem Film, der schwer in Worte zu fassen ist, der verstört, Beklemmung hervorruft, aber auch auf eine seltsame Weise Hoffnung macht. Die Rede ist von „Adam Resurrected“, im Deutschen „Ein Leben für ein Leben“. Er basiert auf dem Roman des Israeli Yoram Kaniuk aus dem Jahr 1969. Bei uns erschienen als „Adam Hundesohn“. Ich wollte den Film hauptsächlich wegen Jeff Goldblum anschauen, der neben Jim Carrey mein Lieblingsschauspieler Hollywoods ist. Er war schon lange nicht mehr im Kino zu sehen und so habe ich mich auf ein „Wiedersehen“ gefreut. Und war auch gespannt auf seine schauspielerische Leistung, die bei den Kritikern in höchsten Tönen gelobt wird.

Der Film handelt von dem einst in Berlin gefeierten (fiktiven) Kabarett-Künstler Adam Stein, der den Holocaust überlebt hat, aber nur weil er für den Lager-Kommandanten einen Hund „gespielt“ hat. Seine Familie konnte er damit aber nicht retten. Diese Schuld und die Erniedrigung verfolgt ihn nach wie vor. Er lebt knapp 20 Jahre nach Kriegsende in einem Santorium in der israelischen Wüste  zur Heilung von psychischen Erkrankungen für Überlebende des Holocaust. Auf den ersten Blick ohne seelische Wunden, aber sein Zynismus zeigt, dass er seine Erlebnisse nicht verarbeitet hat. Bis ein Junge ins Institut kommt, der ein Hund ist: er kann nur bellen und geht auf allen Vieren. Die Konfrontation mit seinen tiefsten Wunden ruft in Adam zuerst Aggressionen, Wut, Entsetzen hervor und treibt ihn fast in den Tod. Doch dann beginnt er, sich um den Jungen zu kümmern und schafft es, aus dem Hund einen Menschen zu machen. Dadurch kann er auch sich selbst heilen und seine inneren Dämonen besiegen.

Wie gesagt, ein Film, der einen nicht kalt lässt und noch lange nachhallt. Ich kann nicht richtig beschreiben, was ich fühle: Nachdenklichkeit, ja, aber noch mehr …  Bewunderung. Bewunderung für Adam Stein, dass er sich aus der inneren Verstrickung gelöst hat, den Dämon (in Person des Lager-Kommandanten) zerstört hat. Übrigens eine der eindruckvollsten Szenen des ganzen Films. Seltsamerweise war für mich das Thema Holocaust nicht das Vordergründige, trotz mancher erschütternder Szenen. Vielmehr sind es die Selbstheilungskräfte, die in uns liegen, die selbst eine Erniedrigung heilen können, wie die des Adam, mit der er nicht (wie erhofft) seine Familie retten konnte und sich zudem von seiner überlebenden Tochter Opportunismus vorwerfen lassen muss. Diese Kräfte können aber nur wirken, wenn wir uns den Problemen stellen.

Das Besondere an diesem Film ist außerdem, dass zum ersten Mal deutsche und israelische Schauspieler in einem Film über den Holocaust miteinander spielen. Die deutsche Schauspielergarde ist gut vertreten, aber nur in kleinen Nebenrollen, bis auf Joachim Król, der sehr gut ist. Der Meinung der Kritiker bezüglich der Leistung von Jeff Goldblum kann ich mich nur anschließen: Grandios! Trotz der blöden deutschen Synchronisation (angekündigt war OmU) eine herausragende Darstellung, bei der man erkennt, dass er sich sehr intensiv auf die Rolle vorbereitet hat. Warum er dafür für den Oscar nicht mal nominiert wurde, wird das Geheimnis der Academy bleiben …

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